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Auf sechs Beinen vor dem Staubsaugerrohr fliehen

Ich bin ganz ehrlich: Als frisch gebackene Kulturwissenschaftlerin und langjährige Festivalveranstalterin war der März 2020 keine Glanzstunde für mich. Binnen weniger Tage blickte ich auf Brachland, wo sich einst mein (angestrebtes) Arbeitsumfeld blühend erstreckte. Booking toller Acts, die sich im Tourbus drängen, Gruppenkuscheln am Brocken und ein Berufseinstieg in der Kultur- oder Medienbranche? Oh well.

„Die haben doch eine neue EP gedroppt, oder?“

Als Kulturwissenschaftlerin bin ich das, was heute gern das Label des „Generalists“ oder auch „Multipotentialists“ auf die Stirn geklebt bekommt. Wir können überall ein wenig mitreden („Wie schon in Foucaults Idee des Panoptismus thematisiert …“ aber auch „Wenn du die KPIs nicht anständig definierst, müssen wir vom ROI gar nicht reden“), haben alles schon mal gemacht („Als ich damals bei fritz-kola gearbeitet habe …“ oder „Als ich damals in Vilnius gewohnt habe“) und kennen uns gut aus („Die haben doch gestern erst ihre neue EP gedroppt, oder?“). Corona machte jedoch selbst uns Alles-und-Nichts-Könner*innen das Leben schwer.

Hinkende Weberknechte, die vor dem Staubsaugerrohr fliehen

Bevor ich diesen Begriff überhaupt kannte, hatte ich manchmal das Selbstbild einer Spinne im Kopf. Bitte was? Ja, genau. Gleich einem Weberknecht gehe ich beruflich auf vielen Beinchen durch die Welt. Und das bedeutet: Wenn da mal eins nicht einsatzfähig ist, kein Problem!

Keine Ahnung, ob dieser Vergleich anatomisch bei Spinnen überhaupt aufgeht (Können die auf sechs oder gar vier Beinen auch vor dem Staubsaugerrohr fliehen?), das ist jedoch Nebensache. COVID riss mir – ich bin da ganz ehrlich – gleich mehrere Beinchen weg, ich konnte jedoch weiterhin beispielsweise auf das Standbein des digitalen Journalismus, der Konzeption neuer (Online-)Formate und auf Skills in Sachen Contentmanagement blicken. Ins Hinken bin ich auf jeden Fall geraten, völlig bewegungsunfähig wurde ich jedoch nicht.

Auf ins Morgenland!

Und so trug es sich zu, dass die lädierte Spinne mit der Energie von fünf Wochen Malaysia und einer selbstauferlegten Quarantäne zur Content-Managerin des Morgenland Festivals in Osnabrück wurde. Für rund einen Monat durfte ich mit dem wahnsinnig herzlichen Team des Festivals den Relaunch der Website des Festivals unterstützen. Diese bekam neben einem neuen Anstrich beispielsweise ein Archiv, in dem man auf die jahrelange Geschichte des international agierenden Festivals zurückblicken kann.

Im Rahmen des Projektes habe ich also liebevoll Metadaten gepflegt, spielte mit der Gestaltung der Pages und lernte, wie man die Hauptstadt Kasachstans richtig schreibt. Herausgekommen ist eine schöne neue Homepage, Lust auf Musik aus dem Morgenland und ein gestärktes Spinnenbein. Gar nicht so übel, oder?